Impressionen des letzten Einsatzes in Burkina Faso

Ich bin jetzt gerade wieder 24 Stunden in Bielefeld…froh, noch nicht arbeiten zu müssen und meinen Gedanken zum Aufenthalt in Burkina Faso Raum geben zu können. Noch vorgestern wachte ich in einer ganz anderen Welt auf. Da ist nicht nur das Wetter ein anderes…nein, fast alles. Dinge, die für uns so alltäglich und selbstverständlich sind, werden dort zum unerreichbaren Luxus.

Wie immer nicht ohne Autopanne – dieses Mal war es die geplatzte Benzinleitung – erreichten wir unser Ziel in Ouahigouya. Sofort fuhren wir zur Ambulanz, um eventuell wartende Kinder zu untersuchen und auch alles für die Operationen am folgenden Tag vorzubereiten.

Noch verschwitzt von der Warterei in der Mittagshitze am Straßenrand (ca. 45°C) und staubig von der Arbeit im Lager waren wir froh, am Abend endlich im Haus von Dr. Bah-Traore anzukommen und freuten uns auf eine erfrischende Dusche. Aber…es tröpfelte nur aus dem Wasserhahn!

Ja, ich war wieder in Afrika. Also füllte ich einen Eimer mit dem gesammelten Wasser in der Regentonne, um wenigstens etwas Dreck und Schweiß loszuwerden. Wasser ist hier ein kostbares Gut. Seit Oktober 2017 hatte es nicht geregnet und so langsam leerten sich die Speicher. Wir sollten noch öfter erleben, dass wir das Wasser einteilen mussten. Ganze Stadtteile werden von der Wasserversorgung unterbunden. Mitunter läuft etwas vom kostbaren Nass in der Nacht. Aber wer steht beispielsweise um drei Uhr morgens auf, um die Wasservorräte aufzufüllen?

Ich hatte in diesem Jahr auch den Eindruck mit besonders viel Elend konfrontiert zu werden. So lagen auf der chirurgischen Station jämmerliche Gestalten. Kinder, die sich fast apathisch in ihr Leid ergeben hatten. Die Versorgung durch das einheimische Personal war sehr unzuverlässig. Wenigstens erschien es mir so, obwohl die Zahl der Ärzte und auch des Pflegepersonals im jetzt neu ernannten Universitätskrankenhaus angestiegen ist. Es mangelt aber an verlässlicher Kommunikation, Organisation und schließlich auch Arbeitswillen. Das ganze Ausmaß dieser Situation tragen die Patienten, die Kinder, besonders die der ärmsten Schichten.

Ich erinnere mich an zwei Kinder mit unglaublichen Abszessen. Ein kleines Mädchen drohte in eine Sepsis zu rutschen. Abgemagert mit großen Augen lag es wimmernd auf seinem Bett. Der rechte Oberschenkel war zum Platzen angeschwollen. Nach einer Inzision durch Dr. Emmanouilidis im OP entleerte sich fast mehr als ein Liter Eiter im Schwall. Wir kümmerten uns täglich um die Kleine. Zusehend verbesserte sich ihr Zustand nach unseren täglichen Wundkontrollen.

Ebenso erschütternd war das Schicksal eines etwa zwölfjährigen Jungen. Durch einen Unfall – genaues erfuhren wir nicht – hatte er eine große Verletzung am linken Unterschenkel. Die einheimischen Ärzte wollten schon eine umfangreiche Amputation durchführen. Ich las im Krankenblatt, dass ein täglicher Verbandwechsel angeordnet war – aber offensichtlich nicht durchgeführt wurde. Schon beim Entfernen des Verbandes stank es bestialisch. Ich bin einiges gewohnt, aber bei diesem Geruch musste ich mich sehr zusammenreißen. Dr. Emmanouilidis stellte fest, dass durch unsachgemäße Durchtrennung wichtiger versorgender Gefäße der Fuß schon ganz kalt war. Wir wollten dem Jungen eine radikale Amputation ersparen. Aber dafür musste zunächst die Verletzung gesäubert werden. Der Zustand besserte sich auch hier deutlich. Der Gestank der Wunde wurde weniger, die Durchblutung sichtbarer. Aber wie würde es weitergehen nach unserer Abreise? Wir haben reichlich Verbandsmaterial zur Versorgung bei dem leitenden Attaché zurückgelassen. Wird der Junge wohl weiterhin täglich neu verbunden?

Ähnliche Schicksale wie dieser beiden Kinder begegneten uns täglich. Eine hohe Anzahl von an Osteomyelitis (Knochenmarkentzündung) erkrankten Kindern kam täglich in den OP. Wie lange litten sie schon unter Schmerzen, Problemen bei der Bewegung?

Die unglaubliche Armut und die fehlende Infrastruktur macht es diesen Menschen einfach unmöglich an ärztliche Hilfe zu gelangen.

Es macht mich traurig, dass diese gesellschaftlichen Umstände und die große Armut so unveränderlich sind. Wir können ja nun nicht allen Kindern helfen. Es sind kleine Lichtblicke, wenn es einem Kind besser geht und es gesund wird. Wie viel Glück hatten die Kinder, die die Hilfe des Hammer Forums in Anspruch nehmen konnten!

Zunehmend sahen wir in diesem Jahr auch kleine Mädchen, die beschnitten waren. Eines wurde uns sogar in der Ambulanz vorgestellt. Ein völlig entzündetes Stück der Harnröhrenmündung schaute aus der kleinen verbleibenden Öffnung hervor. Wie unmenschlich sind hier noch traditionelle Sitten! Verschämt schaute die Mutter zu Boden, als wir ihr sagten, Beschneidung sei ein Verbrechen und ja eigentlich auch in Burkina Faso staatlich verboten. Die Dörfer liegen weit entfernt und niemand kontrolliert das Leben dort.

Mein Gefühl sagte mir, dass auch nun hier der Klimawandel seine ersten Marken setzt. So heiß wie während dieses Aufenthaltes war es noch nie. Mittags wurden Temperaturen bis fast 60°C erreicht und selbst nachts kühlte es kaum ab und ging unter die 30°C-Marke. Die Menschen werden auf Dauer die Folgen spüren. Das Land wird noch trockener als es schon ist. Selbst die Ziegen, Wasserbüffel und Schafe, Hühner….alle leiden unter der Dürre und sehen entsprechend abgemagert aus.

Bei den Kindern zeigte sich die anhaltende Dürre in einer deutlich zugenommen Zahl an kleinen Patienten mit Blasensteinen. Wir können Mineralwasser in ausreichender Menge für uns kaufen, aber die arme einheimische Bevölkerung? Ich bezweifle sehr, dass sie ausreichend trinkt und Zugang zu sauberem Wasser hat.

Ein großes Problem besteht auch in der unzureichenden Ausbildung des Personals. Kaum irgendjemand hat seine Ausbildung in Europa genossen, maximal hat jemand einmal in einem der nordafrikanischen Staaten gearbeitet. Ein gewisser Stolz behindert die Annahme unseres Wissens. Wir hatten in dieser Hinsicht ein kleines Problem mit der einheimischen Kinderchirurgin. Unsere Zusammenarbeit wurde ihr angeboten, auch unsere Hilfe. Aber sie konnte von ihr nicht uneingeschränkt angenommen werden.

Ich möchte das nicht verurteilen. Jedes Mal habe ich mich gefragt, wie wir in unserer Arbeitswelt reagierten, wenn Leute aus dem Ausland kämen und unsere Tätigkeiten in Frage stellten?

Manchmal besteht auch die Angst, das Hammer Forum nähme Patienten weg und schmälerte so den Verdienst der Einheimischen. Wir behandeln aber nur die ärmsten, die sich sonst gar keine Behandlung leisten könnten.

In diesem Jahr kamen sogar Kinder aus Mali, Niger und von der Elfenbeinküste zu uns. Die Taten des Hammer Forums haben sich herumgesprochen. Von Ärzten aus dem Niger wurde um dringende Hilfe gebeten und nachgefragt, ob man nicht dort auch eine Ambulanz einrichten könne.

Der Anblick der Stadt mit ihren unbefestigten Straßen, der Staub, der Gestank nach Abgasen, der Lärm, die im Müll spielenden Kinder, die überall bestehende Armut machen einen hilflos. Mitunter auch mutlos. Was müsste sich alles politisch mit Hilfe der ersten Welt ändern, damit diese Menschen und besonders die Kinder eine Zukunft haben?

In dem ganzen Leid gab es aber immer wieder Momente der Fröhlichkeit. Die vergnügten OP-Attachés, die mit lauter Musik vom Handy lachend in den Saal kamen. Die täglichen überschwänglichen Begrüßungen erleichterten die Arbeit, auch die Hilfsbereitschaft bei der Suche nach geeignetem Material.

Man hätte noch Wochen kontinuierlich dort bleiben können. Die Arbeit wäre sicher nicht weniger geworden. So wurden während unseres Aufenthaltes über 90 Kinder untersucht und fast 50 operiert.

Zwei Kinder begleiteten uns nach Deutschland. Ein Mädchen mit einem großen Abszess und verändertem Kieferknochen und ein Junge mit einer sehr ausgeprägten Osteomyelitis, der kaum laufen konnte. Beide Kinder gingen nicht zur Schule, waren wie ihre Eltern Analphabeten und sprachen nur Moré, einen einheimischen Dialekt. Ein bisschen fürchtete ich mich vor der Begleitung der Kinder ohne Verständigung. Noch am Getränkestand am Flughafen in Ouagadougou lernten wir in Moré wie „Pipi machen“ heißt.

In Brüssel angekommen hatte ich das Vergnügen, das Mädchen zur Toilette zu begleiten. Offensichtlich kannte sie keine europäischen WCs. Auch das Hände-Waschen hinterher war fremd. Und absolut beängstigend der Lufttrockner für die Hände. Sie sprang zur Seite wie bei einem zu befürchtenden Angriff. Langsam konnte ich sie mit dem lärmenden Gerät vertraut machen. Was mag in den Köpfen der Kinder vorgegangen sein beim Anblick von Rolltreppen, Laufbändern, den Geschäften am Flughafen? Selbst eine gewöhnliche Treppe bereitete Angst. Ganz vorsichtig wagten sich die Kinder Schritt für Schritt vor. Da das alles viel zu lange dauerte, hat Dr. Emmanouilidis den Jungen fast die ganze Zeit getragen.

Beide Kinder verbreiteten im Flugzeug einen unangenehmen Geruch. Ich denke, sie werden sich in ihrem Leben noch nie gewaschen haben, so kostbar wie das kühle Nass in Burkina Faso ist. Das war natürlich für uns auch eine Herausforderung, den ganzen Flug über neben den Kindern zu sitzen, die auch keine Art von Besteck kannten, weder Löffel, noch Messer, geschweige denn Gabeln.

Aber in Hannover angekommen wurden die Kinder von Herrn Kolovos abgeholt und zu einer Burkinabé- Familie, die in Hamburg wohnt, gebracht.

Mir werden noch lange viele Bilder von diesem Einsatz im Kopf bleiben. Bilder, die sehr traurig stimmen , aber auch fröhliche, positive Eindrücke. Allein das tägliche Anschieben des Autos war immer die erste Herausforderung am Morgen. Und dann die Freude, wenn es ansprang!

Auf alle Fälle möchte ich zurück nach Burkina Faso, zu der bunten Welt der Märkte, dem chaotischen Straßenverkehr…und natürlich zur Ambulanz des Hammer Forums in Ouahigouya, um kranken Kindern ein bisschen Hilfe und Hoffnung zu bringen.

Klaudia Nußbaumer

Foto: Kristoffer Fillies