Die 13-jährige Céline will ihre Schwestern vor der Beschneidung schützen

Heute sind wir in einer Mädchen-Schule in Nongoa. Der Weg hierher führt von Guéckédou aus über unbefestigte Straßen durch tropischen Wald und trockene Savannenlandschaft. Die bewachsenen Hügel, die wir jetzt sehen, sind liberisches Staatsgebiet. Wir sind in unmittelbarer Nähe der Grenze, über die noch vor wenigen Jahren Rebellen und Flüchtlinge ins Land kamen. Die Nähe zu Liberia macht sich auch in der Schule bemerkbar: Hier werden neben traditionellen Landessprachen die Amtssprache Französisch und Englisch gelehrt.

Die Schule mit über 300 Schülerinnen nimmt an unserem Gesundheitsprogramm teil. Sie haben nun also einen Wasserbrunnen, Latrinen und es kommen regelmäßig Gesundheitsarbeiter und Animateurinnen, um die mehreren hundert Mädchen zu untersuchen, zu behandeln und mit ihnen über ihre Gesundheit zu sprechen. Es sind dann Themen wie Körperhygiene und ansteckende Krankheiten, z.B. die weit verbreitete Malaria, aber auch Themen wie Sexualität.

Zu glauben, in einer Schule mit Mädchen und jungen Frauen in Guinea über Sexualität zu sprechen, sei ein peinliches Tabu, wäre verkehrt. Sicher braucht dieses Gespräch Impulse und einen geschützten Raum. Aber dann entwickeln sich häufig sehr offene, reflektierte und eindrucksvolle Diskussionen.

So erklärt eine junge Frau, warum sie sich zwei Kinder wünscht und wie sie durch das Familienleben in dieser Frage geprägt ist. Eine andere erzählt, was für sie Treue in einer Beziehung bedeutet und warum Treue für sie wichtig ist – auch, um sich vor dem verbreiteten HI-Virus zu schützen.

In dieser Klasse begegnet uns auch ein ganz besonders beeindruckendes Mädchen. Es ist die 13-jährige Céline.

Wir sprechen über MGF – hinter dieser Abkürzung verbirgt sich „Mutilations Génitales Féminines“, die Genital verstümmelnde Beschneidungspraktik. Seit Jahrzehnten ist sie in Guinea verboten, steht auch unter Strafe. Doch noch immer wird sie traditionell weit verbreitet, als feierlicher Initiationsritus praktiziert und akzeptiert. Céline traut sich zu erzählen, dass sie Qualen und Leid der so genannten Beschneidung schon über sich ergehen lassen musste. Im traditionell-kulturellem Verständnis ist sie seitdem eine erwachsene Frau. Dass die 13-Jährige den medizinischen nicht zu rechtfertigenden Eingriff, der in der Regel unter schlimmsten hygienischen Bedingungen stattfindet, überstanden hat, ist pures Glück. Wie sie nun so vor uns steht, wirkt sie wie jedes andere der Mädchen in der Klasse.

Doch die „Beschneidung“ hinterlässt ihre Spuren, und das im körperlich intimsten Bereich einer Frau. Sie sind in ihrer Sexualität eingeschränkt. Sie sind in ihrer Hygiene eingeschränkt. Es kann zu schweren Komplikationen bei einer Geburt kommen. Je nach Ausmaß kann es gar zu Unfruchtbarkeit kommen. Und das Erlebte zu verarbeiten, ist fraglos eine gewaltige Aufgabe für eine heranwachsende Frau.

Céline ist die älteste von den drei Mädchen in ihrer Familie. Sie hat viel über das Erlebte nachgedacht. Für sie ist nun klar, und das spricht sie vor ihren Mitschülerinnen und Lehrerinnen aus: Sie wird ihre Stimme gegen die Tradition in ihrer Familie erheben. Sie will ihre zwei kleinen Schwestern schützen und für ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung eintreten. „Sie sollen nicht die Verstümmlung über sich ergehen lassen müssen“, ist der entschlossene Wunsch der jungen Frau. Es ist zu hoffen, Céline wird sich durchsetzen können. Stark ist sie. Und ihre Lehrerinnen wollen sie unterstützen.

Bericht von Marc Stefaniak aus Guinea