Nicht alles ist im Fluss

Unterwegs mit dem Hammer Forum: Theophylaktos Emmanouilidis operiert zurzeit Kinder im Kongo. Dabei gibt es auch viele unnötige Hürden zu überwinden. Die NW ist mit vor Ort

Von Meiko Haselhorst

Bünde/Kikwit. Jetzt ist erst mal Schluss mit Operieren. Um 16 Uhr schon. Für Dr. Emma äußerst ungewöhnlich. Er macht das auch wirklich nicht gerne, immerhin könnte er heute noch ein paar Kindern helfen. Aber eine Unterredung mit dem Bürgermeister von Kikwit zwingt ihn dazu, seine Arbeit für einen Moment ruhen zu lassen.

Am Vorabend hatten er und drei weitere Mitarbeiter des Hammer Forums in ihrer Unterkunft Besuch von der örtlichen Migrationsbehörde bekommen. Alle hatten ihre Pässe zeigen und 20 Euro pro Kopf zahlen sollen. Für eine weitere „Registrierung“, wie es hier so häufig heißt. Dr. Emma hatte daraufhin seine allabendliche Dusche unter dünnem Strahl unterbrochen und den Beamten mit geöffnetem Hemd und in sehr freundlichem Ton in eine Diskussion verwickelt.

Seine Argumentation: „Es kann nicht sein, dass wir mehrmals jährlich hierher kommen, mit unserem Geld, unserem Material und unseren Händen eine Ambulanz aufbauen, Eure Kinder operieren – und dann auch noch ständig dafür zahlen sollen.“ Der Beamte hatte sich untröstlich gezeigt, aber darauf hingewiesen, dass sein Chef in diesem Punkt sicher nicht mit sich reden ließe. Dr. Emma hatte sich trotzdem geweigert, die Gebühren zu zahlen und stattdessen zur Überraschung des Geldeintreibers angekündigt, sich am kommenden Tag beim Bürgermeister zu beschweren.

Am kommenden Tag stehen aber zunächst einige Operationen an. Ein Mädchen mit Klumpfuß ist die erste Patientin an diesem Morgen. Der Bünder Arzt ist schon seit 7.30 Uhr startklar und wartet im notdürftig eingerichteten und sehr stickigen OP-Saal über eine Stunde auf den einheimischen Anästhesisten. Irgendwann steht der Mann verschwitzt im Raum und entschuldigt sich: Er habe sich zunächst um den Stoff zur Anfertigung neuer OP-Kleidung kümmern müssen, das habe zu gewissen Verzögerungen geführt.

In den darauffolgenden Stunden operiert Dr. Emma 14 Kinder, die meisten davon mit Leistenbrüchen und anderen Gewebeschwächen. Ein zehnjähriges Mädchen mit Darmdurchbruch kommt als Notfall in die Klinik. Der 78-Jährige öffnet ihr den Bauch und rettet ihr mit einem gut einstündigen Eingriff das Leben. „So etwas können sie hier nicht“, sagt Emmanouilidis. Kein bisschen Stolz klingt dabei durch, nur Bedauern. Eigentlich, so der Arzt weiter, sei das keine große Sache. „Aber wer soll es ihnen richtig beibringen?“, fragt der Bünder. Durch einmaliges Zuschauen sei das natürlich nicht ordentlich zu erlernen. Zumal es vielen jungen Ärzten schon an einfachstem Grundwissen mangele.

Dann steht das Gespräch mit dem Bürgermeister an. Der Mann macht einen überraschend aufgeschlossenen Eindruck und verspricht schon nach wenigen Minuten, dass er mit dem Chef der Migrationsbehörde reden wird. Ob das gleichbedeutend mit dem Erlass besagter Gebühren ist, steht in den Sternen. „Vielleicht kommt er übermorgen an und hält für seinen Freundschaftsdienst selbst die Hand auf“, sagt Emmanouilidis und zuckt mit den Schultern.

Der Bünder Chirurg ärgert sich maßlos über Zwischenfälle dieser Art – genau wie über die allgegenwärtigen Polizisten, die ihn und seine Kollegen vom Hammer Forum immer wieder aus den unerfindlichsten Gründen auf offener Straße anhalten, um Geld zu kassieren. Zuweilen weigert sich der Mediziner, manchmal fügt er sich. „Es macht mich wütend, aber man muss sich hier leider ein Stück weit korrumpieren lassen, sonst erreicht man gar nichts“, sagt etwas später ein nachdenklicher Dr. Emma und lässt seinen Blick über den Fluss Kwilu schweifen, der sich in Kikwit sehr idyllisch durchs Tal schlängelt. „Ich mache das hier nicht für die Politiker und nicht für die Polizisten, ich mache das für die anständigen Leute und vor allem für die Kinder – die können nichts dafür.“ Dann stürzt sich Theophylaktos Emmanouilidis wieder ins Getümmel der Ambulanz.

Bild 1: Seltene Verschnaufpause: Dr. Emma außerhalb der Kinderambulanz anzutreffen, ist eher ungewöhnlich. Diesen Blick über den „Kwilu“ gönnt er sich nur, weil er auf dem Rückweg vom Bürgermeister an dem Fluss vorbeikam.

Bild 2: Eine von unzähligen OPs: Wenn Dr. Emma operiert, schauen seine Berufskollegen aufmerksam zu. Manche filmen die Eingriffe mit dem Smartphone, um möglichst viel daraus zu lernen.

Foto: Kristoffer Fillies